Wie mir ein Freund mit Anfang 30 das Streichen von Wänden beibrachte
Was uns Eltern beibringen und wie wir mit diesen Erfahrungen erwachsen werden.
Vor kurzem bin ich umgezogen und habe einen guten Freund aus gemeinsamen Boxtagen gefragt, ob er mir beim Streichen helfen würde. Als er zusagte, besorgte ich mir im Baumarkt die üblichen Utensilien: Wandfarbe, mehrere große Rollpinsel, Kreppband, Abdeckfolie und -vlies.
Andere Utensilien hatte ich mehr als genug zu Hause, falls etwas fehlen sollte. Nachdem er ein paar Tage zuvor die Bohrlöcher verspachtelt hatte, kam er in die neue Wohnung.
Er hatte nicht nur extra Kleidung zum Streichen der Wände mitgebracht, sondern sogar mehrere Pinsel, einen Rührstab für die Farbe und mehrere Packungen Zeitungspapier. Es war, als hätten wir uns perfekt aufeinander abgestimmt, denn ich hatte weder an das Rühren der Farbe in den Eimern noch an die Zeitungen gedacht.
Als wir den ersten Raum vorbereiteten und er mir erklärte, dass wir zuerst die Wände von Spinnweben befreien (die Wohnung stand mehrere Jahre leer) und Heizkörper, Fensterrahmen und Fußleisten abkleben müssten, wurde mir schlagartig klar, wie wenig Ahnung ich von so etwas scheinbar Einfachem wie dem Streichen von Wänden hatte. War es nicht einfach, den Rollpinsel in den Eimer zu tauchen, ihn mehrmals über dem Gitter von überschüssiger Farbe zu befreien und ihn dann senkrecht an der Wand entlang zu führen?
Nein, das Streichen erforderte eine ausreichende Vorbereitung, um die unnötige Arbeit nach dem Streichen zu vermeiden, nämlich das Säubern der Stellen, an die unnötigerweise Farbe gelangt war. Ich frage ihn, wer ihm das beigebracht habe, die Wände so zu streichen.
Mein Vater, sagte er kurz, und ich wusste im ersten Moment nichts zu antworten. Denn wieder einmal wurde mir klar, dass dies eines der Dinge war, die ich mir, in diesem Fall mehr schlecht als recht, selbst beigebracht hatte. Beibringen musste. Und es sollte nicht das Einzige bleiben.
Über Instagram habe ich andere Leute gefragt, welche Fähigkeiten ihnen ihre Eltern beigebracht haben. Und die Antworten haben mich wieder zum Schweigen gebracht.
Eine Auswahl der Antworten:
Knöpfe annähen
Kochen
Kaminfeuer machen
Sauber machen / Ordnung halten
Wäsche waschen
Rezepte aus der Heimat
Wände streichen
Aber auch:
Kuscheln
Disziplin bis der Kopf qualmt
Höflichkeit
Selbstständigkeit, weil keine andere Wahl
Einige Punkte haben mir sehr gut gefallen. Aber die Erinnerungen daran, wie ich diese Dinge lernen musste, sind nicht sehr positiv. Ab der 4. Klasse war die Erwartung da, auch zu kochen und zu putzen. Einen Beitrag zum Haushalt zu leisten. Und weil meine Eltern tagsüber selten zu Hause waren und ich gleichzeitig, als ich älter wurde, die Care-Arbeit für mein jüngeres Geschwisterkind übernehmen sollte. Es ging nie darum, dass ich für mich selbst lernen sollte, um später im Leben zu wissen, wie das geht. Es ging darum, ein nützliches Rädchen im Familienkomplex zu sein. Von daher spüre ich auch die Resonanz auf “Disziplin” und “Höflichkeit”, wobei es auch immer darum ging, sich nicht für mich schämen zu müssen. So wurde es mir von klein auf beigebracht und ich habe es nur verinnerlicht. Nicht dafür zu sorgen, dass sich jemand für mein schlechtes Verhalten schämen muss. Was natürlich das eigene Schamgefühl nährt.
Ich musste mir erst über Jahre beibringen, dass ich Hausarbeit gerne mache. Für mich selbst. Und nicht als Pflicht. Dazu gehört auch, den Haushalt mal liegen zu lassen, wenn es einem nicht gut geht oder der Berg an Aufgaben unüberwindbar erscheint. Wenn die Wäsche oder der Abwasch liegen bleibt, ist das völlig in Ordnung. Das geht jedem so. (Das zu verstehen ist in Zeiten von ästhetischen Sharepics auf Instagram besonders wichtig).
Als ich im Internet nach dem Thema suche, tauchen in der Suchmaschine meiner Wahl häufig gestellte Fragen auf. Unter anderem: “Wie viele Stunden muss ein Kind im Haushalt helfen?” oder “Muss ein Kind im Haushalt helfen?”.
Eigentlich wundert es mich nicht, dass solche Fragen gestellt werden. Die Erwartung, dass Kinder helfen sollen, obwohl sie noch nicht erwachsen und völlig abhängig von den Erwachsenen sind, die sie erziehen. Es ist eine Sache, Kindern beizubringen, dass sie für die Zukunft selbstständiger und selbstbestimmter werden sollen. Es ist aber auch eine Erwartung, die unweigerlich mit einem Leistungsgedanken verbunden ist.
Ebenso kann sie eine Erwartungshaltung aufrechterhalten. Wenn es für die einen selbstverständlich ist, dass wir von unseren Eltern Kochen, Selbstdisziplin oder Wäschewaschen lernen, kann schnell die Vorstellung entstehen, dass viele andere es auch lernen. Und auch die Art und Weise, wie wir lernen. Ob wir uns dazu gezwungen fühlen oder ob wir positive Erinnerungen mit diesen Fähigkeiten verbinden. All das kann uns für unsere eigene Zukunft prägen.
Das hat natürlich auch etwas Klassistisches. Welche Eltern hatten überhaupt die Zeit oder die Möglichkeit, ihren Kindern etwas beizubringen? Und welche Eltern waren ständig damit beschäftigt, genug Geld nach Hause zu bringen, damit alle Rechnungen bezahlt werden konnten? Die Tatsache, dass Eltern auf diese Weise Care-Arbeit auf ihre minderjährigen Kinder abwälzen, ist durchaus problematisch und ein politisches Thema. Und welche Eltern dementsprechend so viel Geld haben, dass sie Leute anstellen können, die die Care-Arbeit für sie erledigen. Und welche Eltern diese Care-Arbeit in fremden Haushalten verrichten mussten, um Geld nach Hause bringen zu können. Es sollte nicht Aufgabe der heranwachsenden Kinder sein, Care-Arbeit zu übernehmen, weil ihre Eltern (oder Alleinerziehenden) in einer finanziell prekären Situation sind, in der sie sich nicht angemessen um Erziehung und Care-Arbeit kümmern können.
Selbstverantwortung but how?
Für sich selbst verantwortlich zu sein, bedeutet auch, für sich selbst zu sorgen. Die Notwendigkeit zu sehen, sich um sich selbst zu kümmern, weil man sich selbst liebt und auch für sich selbst da sein möchte. Das bedeutet nicht nur, sich mit Essen zu versorgen, sondern auch zu versuchen, den Ort, den man vielleicht sein Zuhause nennt, so zu gestalten, dass man sich wohl fühlt. Und manchmal, wenn die Tage hart sind, heißt es auch einfach zuzulassen, dass an diesem Tag nicht viel passieren wird und dass es auch eine sehr heilsame Tätigkeit sein kann, sich einen Tee zu kochen.
Und selbst zwei Wochen später entdecke ich noch Zeitungsreste, die an einem der Heizkörper kleben. Vielleicht lasse ich diesen kleinen Fetzen dort kleben, bis ich ihn das nächste Mal wiederfinde. Und es ist gut so.
Im Übrigen war das Feedback meines Anfangs erwähnten Freunds von meine Streichkünsten
Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, würde mich ein Like oder ein Kommentar freuen. Ansonsten teile ihn gerne mit anderen. Wenn du diesem Newsletter noch nicht folgst und die zukünftigen Beiträge nicht verpassen möchtest, dann abonnier ihn gerne. Bis zum nächsten Mal. Pass auf dich auf.