Fight my head
Der ewige Kampf mit dem eigenen Kopf, intrusiven Gedanken, Brandzeichen und was sich noch dort verbirgt
Meistens passiert es ganz willkürlich. Und im schlimmsten Fall wirkte es tagelang nach.
Click, meine Smartphone-Benachrichtigung klinkt wie der Shutter einer Kamera. Eine Nachricht ploppt auf und ich entsperre mein Smartphone um die Nachricht zu lesen.
“Hey du, sorry aber wir müssen unser Treffen leider verschieben…” Es kommen herkömmliche Gründe. Krankheit, Theateraufführung der Kinder, Unfall, Terminüberschneidungen, sonstige alltäglichen Gründe.
Schnell wird ausgemacht, den Termin bald zu wiederholen. Und doch…
Meine Intrusive Gedanken schmeißen sich durch die schwingenden Saloontüren meines Gehirns. Ihre Hände in einer luftigen Entfernung zu ihren Colts, ihr Auftritt wird durch das dumpfe Stampfen ihrer großen Stiefel begleitet. Ihre Blicke landen direkt auf mich und sie beginnen mit ihrer Tirade:
“Natürlich haben sie abgesagt, hast du echt vergessen, wie scheiße du bist?”
“Wenn ich so ein*e Versager*in kennen würde wie du, würde ich mir auch immer einen Grund einfallen lassen.”
“Wann verstehst du es endlich? Sie haben dich durchschaut.”
Rational dagegen ankämpfen scheint wie gegen Windmühlen zu kämpfen:
“Ja, aber Corona geht wieder um und Menschen mit vielen Kontakten sind nun mal dadurch anfälliger zu erkranken…”
“Ja, aber die Person hatte ja auch sehr viele wichtige Termine, die sie wahrnehmen musste. Als selbstständige Person kann man sich nicht einfach so krank melden.”
“Wenn die Person sich wirklich nicht treffen wollen würde, würde sie mir das doch einfach sagen.”
Beim letzten Satz zucke ich zusammen, weil die Intrusiven Gedanken ein bauchiges Lachen von sich geben und ihre Münder zu hämischen Fratzen verzogen sind.
Ha Ha Ha Ha
“Denkst du diese Gedanken sind wahr? Du weißt doch, was dir deine Eltern / deine Lehrkräfte / deine “Freund*innen” / deine Kolleg*innen gesagt haben. Hör auf dich anzulügen.” Bei Freund*innen setzten die Intrusiven Gedanken tatsächlich mit ihren Zeige- und Mittelfinger ihrer Hände Anführungszeichen in die Luft vor ihnen. Mein Körper bebbt vor Anspannung. Die Sätze der Intrusiven Gedanken ummanteln mich wie eine zweite Haut. Die Sätze klingeln in meinem Kopf wie das Echo von laut betenden Mönchen in einer großen Kathedrale. Alles verliert sich, ich verstehe mittlerweile kein Wort, aber mein Körper verkrampft sich mit jeder wiederholten Silbe. Angstschweiß bildet sich auf meiner Haut, meine Kopfhaut brennt und meine Hände verkrampfen sich in der leeren Luft um meinen Körper.
Ich gehe hektisch mein Rolodex der rationalen Erklärungen durch. Ausgeführt sind die Erklärungen mit Erinnerungsfotos aus vergangenen Erlebnissen mit diesen Menschen. Einige Erklärungen sind von dicken Aktenmappen umschlossen, andere sind wiederum noch kaum gefüllt. Screenshots aus Gesprächen sind an den Erklärungen befestigt als wären sie tatsächlich haptisch vorhanden wie Akten.
Mein Kopf kann mit diesem Stand-off nicht umgehen. Dafür fehlen ihm die starken Nerven, wie manch andere sie haben. Es findet keine Lösung und schüttet mir Stress ins Bewusstsein.
Es fällt mir schwer, irgendeinen neutralen Gedanken zu spicken. Eigentlich müsste ich lohnarbeiten. Eigentlich müsste ich für mein Ehrenamt ein paar wichtige E-Mails beantworten. Eigentlich müsste ich für mein Mastek-Crowdfunding Werbung machen. Eigentlich müsste ich meine Unterlagen für die Mastek zusammensuchen. Eigentlich müsste ich endlich nach 6 Stunden Sitzen von meinem Laptop aufstehen.
Wann war ich das letzte Mal heute auf Klo? Hab ich heute überhaupt gefrühstückt?
Intrusive Gedanken sind ein häufiges Symptom bei Menschen mit einfachen als auch komplexen Traumafolgestörungen. Ausgelöst werden sie meist durch einen Reiz, einen Trigger (ein richtiger Trigger). Intrusive Gedanken oder Intrusion kann unterschiedlich aussehen:
stunden- oder tagelange lähmende Gedanken, Zurückerinnern oder Wiedererleben an/von traumatischen Ereignissen und Situationen
abrupte Flashbacks von eben genannten Ereignissen, die zwischen Sekunden und Minuten andauern können
Albträume
Aber auch Gedankenschleifen, Schuld- und / oder Schamgefühle
Die Liste an Möglichkeiten geht noch etwas weiter, in meiner alltäglichen Belastung aber sind es meistens lang andauernde Gedankenschlaufen, durchzogen mit Erinnerungen an traumatische Ereignisse und Sätze, die sich in meine Hirnwindungen eingebrannt haben.
“Sie hatten Recht.”
“Du bist nicht gut genug.”
Mittlerweile kann ich vergleichsweise besser mit diesen Gedanken umgehen als noch vor mehreren Jahren. Ich muss größere Vergleiche ziehen, damit ich auch meine Veränderungen anerkenne. Sonst verliere ich mich im Granularen.
Neben ungesunden Coping-Strategien (Zu viel essen, zu wenig Essen, zu viel Sport, jeglicher exzessive Konsum von Betäubungsmitteln, alles, was in die Richtung selbstverletztendes Verhalten geht und ein sehr weites Spektrum sein kann) braucht es ein Umdenken, ein Umlernen. Ein Distanzieren der traumatischen Ereignissen mit dem danach.
Das Danach umschreibt den Zeitpunkt ab wann die traumatischen Ereignisse geendet haben (wenn sie das überhaupt getan haben). Es geht darum, zu lernen wie man in soziale Beziehungen mit anderen Menschen tritt. Vor allem, wie man positive Erfahrungen macht. Und eben diese positiven Erfahrungen der neue Maßstab werden. Ganz zu Beginn wirkt die Aufgabe, positive Erfahrungen zu sammeln wie eine höllische Achterbahn. Und dabei ist man überhaupt kein Fan von Achterbahnen.
Jeder Satz, egal ob ausgesprochen oder im Chat geschrieben wirkt als wäre man der inkompetenteste Mensch der Welt. Alles an einem selbst wird auseinander genommen und kritisch betrachtet. Der Körper, die Körpermaße, die Körperform, die Körperhaltung, der Körperfettanteil, die Frisur, die Zähne, die Kleidung, die man heute ausgewählt hat, die Stimme, die Größe der Füße und Hände, die Abschlüsse, der Lebenslauf, das letzte Mitarbeitendengespräch, die Fotos vom letzten Event, …
Ist man wirklich das, was man tut?
Passiert das, was man tut, durch einen selbst?
Zu was wird man, wenn etwas mit einem gemacht wird, was man gar nicht wollte?
Wie legt man das ab, was Menschen auf einen abgelegt haben? Wenn es sich ins Mark und Bein eingebrannt hat fast wie bei einem Brandzeichen bei einem Rind. Bei jeder Berührung, jedem Atemzug, spürst du es. Es ist da und erinnert dich, woran aber genau?
Mein Brandzeichen ist immer noch da. Ich spüre es auch. Mal mehr, mal weniger. Je nach Tagesgefühl. Je nachdem, wie viel Erholung ich tatsächlich gemacht habe. Je nachdem, wie gnädig ich mit mir die letzten Tage umgegangen bin. Wie gut ich mir selbst zugesprochen habe. Je nachdem, wie viel Dinge ich getan habe, die mir gut tun. Nicht nur Dinge abgearbeitet, sondern wirklich Dinge, die mir Freude bereiten. Dass ich regelmäßig lerne, neue Freuden zu erlernen. Das Brandzeichen ist mittlerweile leicht ergraut, ich spüre es noch ganz leicht, wenn ich mit den Fingerspitzen darüber fahre. Von den damals tiefen Furchen ist eine Narbenhaut übrig geblieben. Eine Erinnerung daran, was war. Und daran, was zu Ende ist.
Für die Dinge, die mir widerfahren sind, trage ich keine Schuld. Für die Dinge, die ich ausgeliefert war, trage ich keine Schuld. Für die Dinge, die komplett außerhalb meiner Macht liegen, trage ich keine Schuld.
Auch ich kann gute Erfahrungen machen. Auch ich bin liebenswert. Auch ich darf traurig sein. Auch ich darf Pausen machen.
Ich rede in diesem Moment mit niemandem. Mein Atem kommt noch mit einem leichten Zittern über meine Lippen. Tränen laufen über meine Wangen. Aus Erschöpfung, aber vielleicht auch aus Erleichterung. Ich spüre eine Wärme, austretend an der Stelle meines Brandzeichens. Eine wohlige, sichere Wärme.
Die Intrusiven Gedanken haben sich in eine dunkle Ecke des Saloons verzogen, dort, wo das Licht der Petroleumlampen kaum noch ausreicht. Doch ihre Augen, leuchtend wie die von Katzen im Dunkeln, beobachten mich weiterhin. Sie sehen es nicht ein, diese Auseinandersetzung fortzusetzen.
Noch nicht.
From Mizeria With Love
In diesem Newsletter dreht sich vieles um teils persönliche Erfahrungen und wie es ist, migrantisch, queer und mental krank zu sein. Und allem dazwischen. Alles, was immer noch zu unsichtbar scheint.
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